Spectacular Tentacular
[Living the Chthulucene]
Ausgangspunkt unseres im Frühjahr 2020 gestarteten Forschungsschwerpunkts “We design UTOPIAS OF CHANGE for the 21st century to save our earth” ist in diesem Wintersemester Donna J. Haraways Buch „UNRUHIG BLEIBEN – Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän“.
Es ist unsere Aufgabe Unruhe zu stiften, zu wirkungsvollen Reaktionen auf zerstörerische Ereignisse aufzurütteln, aber auch die aufgewühlten Gewässer zu beruhigen, ruhige Orte wieder aufzubauen. In dringlichen Zeiten ist es für viele verlockend, der Unruhe zu begegnen, indem sie eine imaginierte Zukunft in Sicherheit bringen. Dafür versuchen sie, am Zukunftshorizont Drohendes zu verhindern, aber auch Gegenwart und Vergangenheit beiseitezuräumen, um so für kommende Generationen Zukunft zu ermöglichen. Unruhig zu bleiben erfordert aber gerade nicht eine Beziehung zu jenen Zeiten, die wir Zukunft nennen. Vielmehr bedeutet es zu lernen, wirklich gegenwärtig zu sein.¹
Artenübergreifende Kollaborationen. Multispecies Turn in der Architektur.
Ausgehend von einem artenübergreifenden Projekt zu Beginn des Semesters, werden wir gemeinsam die Begriffe Verantwortung, Kohabitation, Wohnen, und recherchieren, diskutieren, überdenken und neu bestimmen.
Die menschgemachte Zerstörung von Habitaten in unseren ländlichen Umgebungen aufgrund von Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Industrie, Versiegelung, usw. zwingt immer mehr Lebewesen sich in unseren Städten an neue Lebensräume anzupassen. Dieses Ausweichen und die zwangsläufige Anpassung dieser Lebewesen, birgt das Potential neuer Ökologien des Zusammenlebens und artenübergreifender Kollaborationen.
Anstatt die Natur vom menschlichen Dasein weiterhin abzugrenzen, möchten wir Verantwortung übernehmen, indem wir Visionen des neuen Zusammenlebens entwerfen.
In unserer Leitliteratur “Unruhig bleiben- Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän” geht Donna J. Haraway davon aus, dass positive, utopische Erzählungen die Gesellschaft tatsächlich verändern können. Verwandt machen bedeutet für uns aus anderen Perspektiven Geschichten zu erzählen, Visionen zu entwerfen, die sich der anthropogenen Weltsicht entziehen und sich auf Experimente einlassen. Unsere Geschichte im Wintersemester 21/22 beginnt mit der Umsetzung eines 1:1 Projektentwurfes. Wir tauchen in die Perspektive einer frei gewählten, nicht-humanen Kreatur (“non-human kritter”) ein und entwerfen aus einer artfremden Sichtweise. Durch die Recherche der natürlichen Bedarfe der anderen Art, egal ob Sandfloh, Kohlrabi, Hund, Virus oder Seegurke, beginnen wir uns mit dieser frei gewählten Kreatur verwandt zu machen. Es können diverse Nutzungen entstehen, Behausungen, Futterstellen, Spielplätze oder Infrastruktur, die Verwendbarkeit und die Materialien zur Umsetzung sind frei wählbar.
Fortgeführt werden unsere Erzählungen mit der Transformation von Bestand.
Wir befinden uns in Stuttgart Mitte: Das Züblin Parkhaus steht zur Aufgabe und stellte als kontrovers gesehenes Relikt der modernistischen, autogerechten Stadt, schon oft den Ausgangspunkt etwaiger Projektentwürfe dar. Diverse Konzepte einschlägiger Architekturbüros oder auch der Output vorheriger studentischer Projekte versuchten mit den uns üblichen anthropogenen Denkweisen ein Projekt zu zeichnen, das immer noch dieselbe Geschichte erzählt, in der wir uns zumindest in weißen Gesellschaften, seit Anbeginn unserer Sesshaftigkeit wiederfinden: Der Versuch des Menschen die Natur zu bezwingen und zu verwerten. Wir wollen jedoch eine andere Geschichte zu diesem viel diskutierten Baukörper, inmitten unserer Landeshauptstadt, erzählen. Das Thema Perspektivwechsel, Kollaboration und Kohabitation bleiben genau wie zu Beginn des Semesters und wie in unserer Leitliteratur von Donna J. Haraway das Narrativ. Euer 1:1 Projektentwurf und das hierfür gewählte Lebewesen sind nun Ausgangspunkt der Transformation des Parkhauses und seiner Umgebung. Hier darf sich die Perspektive zwar wieder anderen Kreaturen wie auch dem Menschen zuwenden, jedoch immer unter dem Paradigma der Verwandtschaft der Arten. Wir möchten einen Raum des anderen, artenübergreifenden Zusammenlebens entwerfen, ohne den Anspruch zu erheben dabei perfekt zu sein zu müssen. Die Transformation soll im beliebigen Maßstab und Format geschehen.
Vom Insektenhotel zum Sauerkrautsalat bildet sich ein weiterer Erzählstrang und bringt das Thema der Verantwortung gegenüber Nichtmenschen als unsere Nahrungs- und somit Lebensgrundlage auf den Tisch. Zusammen mit den Bachelorstudierenden widmen wir uns dem Diskurs im Rahmen eines vertikalen Kochstudios. Wir diskutieren und erforschen in unserem Kochstudio hybride Räume, Lebewesen zwischen physischer und virtueller Realität und natürlich alles was sonst noch auf dem Speiseplan steht.
Im Zuge der Erfindung unserer Geschichten und Visionen werden wir uns diverser Diskussionspunkte und Fragen stellen müssen. Können wir als Menschen am “Roundtable” demokratischer Entscheidungen stellvertretend den Platz für nichtmenschliche Arten einnehmen und nicht nur ihre Rechte, sondern sogar Interessen vertreten? Was bedeutet das für uns als Architekt:Innen und für unsere Aufgabe des Entwerfens von Lebensräumen?
Ist es uns überhaupt möglich auf empathische Weise unser nicht-menschliches Gegenüber zu verstehen, nicht zum Objekt zu machen, sondern als Subjekt wahr und vor allem ernst zu nehmen? Begleitend zum Entwurf werden wir in den Digital-Lounges gemeinsam mit den Bachelor-Studierenden und mit Gästen aus Kunst und Wissenschaft, versuchen Antworten zu finden, wir werden mit Hilfe der Interdisziplinarität unser Blickfeld erweitern und neue spannende Fragen aufwerfen. Tentacular denken, sich verwandt machen, unruhig bleiben!
Eine audiovisuelle Dokumentation eurer Geschichten, Diskurse und Visionen während des Semesters, ist Endabgabe und ständiges Arbeitsmittel.
¹ Donna J. Haraway, Unruhig bleiben – Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän (offizieller Klappentext des Buches lt. Campus Verlag GmbH), 2018
Spectacular Tentacular
[Living the Chthulucene]
Ausgangspunkt unseres im Frühjahr 2020 gestarteten Forschungsschwerpunkts “We design UTOPIAS OF CHANGE for the 21st century to save our earth” ist in diesem Wintersemester Donna J. Haraways Buch „UNRUHIG BLEIBEN – Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän“.
Es ist unsere Aufgabe Unruhe zu stiften, zu wirkungsvollen Reaktionen auf zerstörerische Ereignisse aufzurütteln, aber auch die aufgewühlten Gewässer zu beruhigen, ruhige Orte wieder aufzubauen. In dringlichen Zeiten ist es für viele verlockend, der Unruhe zu begegnen, indem sie eine imaginierte Zukunft in Sicherheit bringen. Dafür versuchen sie, am Zukunftshorizont Drohendes zu verhindern, aber auch Gegenwart und Vergangenheit beiseitezuräumen, um so für kommende Generationen Zukunft zu ermöglichen. Unruhig zu bleiben erfordert aber gerade nicht eine Beziehung zu jenen Zeiten, die wir Zukunft nennen. Vielmehr bedeutet es zu lernen, wirklich gegenwärtig zu sein.¹
Artenübergreifende Kollaborationen. Multispecies Turn in der Architektur.
Ausgehend von einem artenübergreifenden Projekt zu Beginn des Semesters, werden wir gemeinsam die Begriffe Verantwortung, Kohabitation, Wohnen, und recherchieren, diskutieren, überdenken und neu bestimmen.
Die menschgemachte Zerstörung von Habitaten in unseren ländlichen Umgebungen aufgrund von Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Industrie, Versiegelung, usw. zwingt immer mehr Lebewesen sich in unseren Städten an neue Lebensräume anzupassen. Dieses Ausweichen und die zwangsläufige Anpassung dieser Lebewesen, birgt das Potential neuer Ökologien des Zusammenlebens und artenübergreifender Kollaborationen.
Anstatt die Natur vom menschlichen Dasein weiterhin abzugrenzen, möchten wir Verantwortung übernehmen, indem wir Visionen des neuen Zusammenlebens entwerfen.
In unserer Leitliteratur “Unruhig bleiben- Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän” geht Donna J. Haraway davon aus, dass positive, utopische Erzählungen die Gesellschaft tatsächlich verändern können. Verwandt machen bedeutet für uns aus anderen Perspektiven Geschichten zu erzählen, Visionen zu entwerfen, die sich der anthropogenen Weltsicht entziehen und sich auf Experimente einlassen. Unsere Geschichte im Wintersemester 21/22 beginnt mit der Umsetzung eines 1:1 Projektentwurfes. Wir tauchen in die Perspektive einer frei gewählten, nicht-humanen Kreatur (“non-human kritter”) ein und entwerfen aus einer artfremden Sichtweise. Durch die Recherche der natürlichen Bedarfe der anderen Art, egal ob Sandfloh, Kohlrabi, Hund, Virus oder Seegurke, beginnen wir uns mit dieser frei gewählten Kreatur verwandt zu machen. Es können diverse Nutzungen entstehen, Behausungen, Futterstellen, Spielplätze oder Infrastruktur, die Verwendbarkeit und die Materialien zur Umsetzung sind frei wählbar.
Fortgeführt werden unsere Erzählungen mit der Transformation von Bestand.
Wir befinden uns in Stuttgart Mitte: Das Züblin Parkhaus steht zur Aufgabe und stellte als kontrovers gesehenes Relikt der modernistischen, autogerechten Stadt, schon oft den Ausgangspunkt etwaiger Projektentwürfe dar. Diverse Konzepte einschlägiger Architekturbüros oder auch der Output vorheriger studentischer Projekte versuchten mit den uns üblichen anthropogenen Denkweisen ein Projekt zu zeichnen, das immer noch dieselbe Geschichte erzählt, in der wir uns zumindest in weißen Gesellschaften, seit Anbeginn unserer Sesshaftigkeit wiederfinden: Der Versuch des Menschen die Natur zu bezwingen und zu verwerten. Wir wollen jedoch eine andere Geschichte zu diesem viel diskutierten Baukörper, inmitten unserer Landeshauptstadt, erzählen. Das Thema Perspektivwechsel, Kollaboration und Kohabitation bleiben genau wie zu Beginn des Semesters und wie in unserer Leitliteratur von Donna J. Haraway das Narrativ. Euer 1:1 Projektentwurf und das hierfür gewählte Lebewesen sind nun Ausgangspunkt der Transformation des Parkhauses und seiner Umgebung. Hier darf sich die Perspektive zwar wieder anderen Kreaturen wie auch dem Menschen zuwenden, jedoch immer unter dem Paradigma der Verwandtschaft der Arten. Wir möchten einen Raum des anderen, artenübergreifenden Zusammenlebens entwerfen, ohne den Anspruch zu erheben dabei perfekt zu sein zu müssen. Die Transformation soll im beliebigen Maßstab und Format geschehen.
Vom Insektenhotel zum Sauerkrautsalat bildet sich ein weiterer Erzählstrang und bringt das Thema der Verantwortung gegenüber Nichtmenschen als unsere Nahrungs- und somit Lebensgrundlage auf den Tisch. Zusammen mit den Bachelorstudierenden widmen wir uns dem Diskurs im Rahmen eines vertikalen Kochstudios. Wir diskutieren und erforschen in unserem Kochstudio hybride Räume, Lebewesen zwischen physischer und virtueller Realität und natürlich alles was sonst noch auf dem Speiseplan steht.
Im Zuge der Erfindung unserer Geschichten und Visionen werden wir uns diverser Diskussionspunkte und Fragen stellen müssen. Können wir als Menschen am “Roundtable” demokratischer Entscheidungen stellvertretend den Platz für nichtmenschliche Arten einnehmen und nicht nur ihre Rechte, sondern sogar Interessen vertreten? Was bedeutet das für uns als Architekt:Innen und für unsere Aufgabe des Entwerfens von Lebensräumen?
Ist es uns überhaupt möglich auf empathische Weise unser nicht-menschliches Gegenüber zu verstehen, nicht zum Objekt zu machen, sondern als Subjekt wahr und vor allem ernst zu nehmen? Begleitend zum Entwurf werden wir in den Digital-Lounges gemeinsam mit den Bachelor-Studierenden und mit Gästen aus Kunst und Wissenschaft, versuchen Antworten zu finden, wir werden mit Hilfe der Interdisziplinarität unser Blickfeld erweitern und neue spannende Fragen aufwerfen. Tentacular denken, sich verwandt machen, unruhig bleiben!
Eine audiovisuelle Dokumentation eurer Geschichten, Diskurse und Visionen während des Semesters, ist Endabgabe und ständiges Arbeitsmittel.
¹ Donna J. Haraway, Unruhig bleiben – Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän (offizieller Klappentext des Buches lt. Campus Verlag GmbH), 2018